„Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“ (Joh 4,34)

Das Evangelium nach Johannes –Bibelimpulse im Dekanat Andernach-Bassenheim, Teil 10 (Joh 4,27-42): „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“ (Joh 4,34)

Zum Anschluss unserer Perikope an das Gespräch Jesu mit der Frau aus Samaria (4,1-25)

Das Gespräch Jesu mit der samaritanischen Frau hat zur Frage nach dem Messias geführt. Entsprechend der jüdischen Tradition formuliert die Frau: „Ich weiß, dass der Messias kommt…“ (4,25). Darüber hinaus nun soll sie zu der Erkenntnis kommen, dass er schon da ist – und zwar in dem, der mit ihr spricht. Er ist gekommen, um Israel, das nach der Zerstörung Jerusalems am Boden liegt und nun über das ganze Reich verstreut ist, aufzurichten und wieder neu zu Gottes Volk zu sammeln. Der Gesprächszusammenhang wird nun durch die Rückkehr der Jünger unterbrochen. Sie kommen aus der Stadt, in die sie gegangen waren, „um etwas zum Essen zu kaufen“ (4,8).

27 Inzwischen waren seine Jünger zurückgekommen. Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach, doch keiner sagte: Was suchst du? oder: Was redest du mit ihr? 28 Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen, kehrte zurück in die Stadt und sagte zu den Leuten: 29 Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Christus? 30 Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm. 31 Währenddessen baten ihn seine Jünger: Rabbi, iss! 32 Er aber sagte zu ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt. 33 Da sagten die Jünger zueinander: Hat ihm jemand etwas zu essen gebracht? 34 Jesus sprach zu ihnen: Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden. 35 Sagt ihr nicht: Noch vier Monate dauert es bis zur Ernte? Sieh, ich sage euch: Erhebt eure Augen und seht, dass die Felder schon weiß sind zur Ernte! 36 Schon empfängt der Schnitter seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, sodass sich der Sämann und der Schnitter gemeinsam freuen. 37 Denn hier hat das Sprichwort recht: Einer sät und ein anderer erntet. 38 Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr euch nicht abgemüht habt; andere haben sich abgemüht und euch ist ihre Mühe zugutegekommen. 39 Aus jener Stadt kamen viele Samariter zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. 40 Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage. 41 Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte. 42 Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Rede glauben wir, denn wir haben selbst gehört und wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt.

Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach, doch keiner sagte: Was suchst du? Oder: Was redest du mit ihr? (Vers 27)

Die Verwunderung darüber, dass Jesus mit einer Frau spricht, dürfte eine Reaktion auf Tendenzen in den messianischen Gemeinden sein, führende Rollen von Frauen zurück zu drängen. Dagegen betont Johannes die Bedeutung von Frauen in der Gestalt der Maria Magdalena, die zur ersten Verkünderin der Botschaft von der Auferweckung des gekreuzigten Messias wird (20,11-18). Analog dazu wird die Samaritanerin zur Verkünderin des Messias als „Retter der Welt“ (V. 42) werden. Die in unserer Szene als männlich vorzustellende Jünger repräsentieren diejenigen, die eher skeptisch sind gegenüber führenden Frauen in der Gemeinde; sie wagen aber nicht sich mit kritischen Nachfragen dagegen zu stellen.

Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen, kehrte zurück in die Stadt und sagte zu den Leuten: Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Christus? Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.“ (Verse 28-30)

In einem Atemzug werden zwei Vorgänge erzählt: Die Frau lässt den Wasserkrug stehen und kehrt in die Stadt zurück. Mit dem Wasserkrug lässt sie ihr altes Leben zurück: Verhältnisse, in denen sie dazu ‚verurteilt‘ ist, in der heißen Mittagszeit Mengen an Wasser herbei zu schleppen, ebenso wie die Abhängigkeit von ihrem Mann im Zusammenhang von Zwängen, sich an Männer binden zu müssen, um überleben zu können. In der Stadt ‚muss‘ sie erzählen, was und wer ihr begegnet ist. Dabei beginnt sie, von Jesus als dem Messias Zeugnis zu geben. Ihr Zeugnis formuliert sie zunächst zögerlich, fragend: Ist er vielleicht der Christus? Nachdenklich ist sie geworden, weil ihr in Jesus ein Mensch begegnet ist, der ihr alles gesagt hat, was sie getan hat. Wer von der traditionellen kirchlichen Ehemoral geprägt ist, wird daran denken, dass Jesus um die Sünde des Ehebruchs gewusst habe. Das aber hat mit unserem Text nichts zu tun. Jesus hat ihr nicht Verfehlungen vorgehalten, sondern ist ihr als einer begegnet, der einen klaren Blick für ihr Leid und ihre Abhängigkeiten hatte. Dadurch, dass Jesus ihre elendige Existenz erkannt und sie davon befreit hat, ist er ihr Retter geworden. Dass muss sie den „Leuten“ in der Stadt erzählen. Er ist ihr so begegnet, wie sie es von Israels Gott kennt, von dem in den Schriften erzählt wird, dass er die Schreie der Versklavten hört und einen Befreier sendet sie aus der Sklaverei zu befreien (Ex 2,23 – 3,17).

Ihre Aufforderung: „Kommt her, seht…“ greift Jesu Wort an Andreas und Petrus auf, mit dem er sie zur Nachfolge einlädt (1,39) ebenso wie Jesu Wort an Natanael (1,46), den er, bevor er ihn rief, bereits „unter dem Feigenbaum gesehen“ (1,48) hatte. Mit der Aufforderung, zu kommen und zu sehen, beginnt die Frau die Botschaft von Jesus als dem Messias zu verbreiten, obwohl sie noch unsicher fragt: „Ist er vielleicht der Christus?“ Und tatsächlich die Leute kommen und wollen sehen. Sie „gingen aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.“ Das verstreute Israel beginnt sich um seinen Messias zu sammeln.

Indessen kommen die Jüngerinnen und Jünger zurück, die den müden Meister am Brunnen zurück gelassen hatten, um ihm etwas zu essen zu kaufen. Sie fordern ihn auf, zu essen und sich zu stärken. Doch Jesus antwortet ihnen:

Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt. (Vers 32)

Die Jünger, die das Gespräch Jesu mit der Frau nicht mitbekommen haben, verstehen zunächst nicht, was gemeint ist. Sie spekulieren, ob sie vielleicht Jesus „etwas zu essen gebracht“ (V. 33) habe. Während die samaritanische Frau auf dem Weg ist, Jesus als den Messias zu erkennen und was dies bedeutet, bleiben die Jünger auf der Ebene der Phänomene stehen. Sie erkennen nicht, dass das reale Brot zugleich ein Zeichen für etwas sein kann, das nicht unmittelbar sichtbar ist. Deshalb muss Jesus sie ‚belehren‘:

Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden. (Vers 34)

In dieser ‚Belehrung‘ knüpft Jesus an das an, was Israel vertraut ist bzw. sein müsste. Israel lebt von der Tora. Sie ist Brot für Israel; denn Gott hat Israel auf dem Weg durch die Wüste erkennen lassen, „dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht“ (Dtn 8,3). Die Tora ist auch die Speise, von der der Messias lebt. Sie ist eine Speise, die getan werden muss. Das bedeutet für den Messias Gottes Werk der Befreiung „zu vollenden“, zu einem guten Ende zu führen. Dieses gute Ende aber führt über die Hinrichtung am Kreuz der Römer. Hier ist „alles vollbracht“ (19,28.30). Es ist „vollbracht“, weil Jesus in der Stunde seines Todes dem Vater den Geist „übergab“ – wie inzwischen auch die Neue Einheitsübersetzung formuliert. Alles, was er „vollbracht“ hat, sein ganzes Leben übergibt er dem Vater.

Es ist sein Leben, das bis in den Tod solidarisch, eins war mit dem Vater (10,30) und in der Solidarität mit Israel eins war mit den „Seinen, die in der Welt waren, … bis zur Vollendung“ (13,1). Im „Werk“ des Messias ist Israels Gott gegenwärtig und solidarisch mit denen, die in der Welt sind und unter der herrschenden Weltordnung leiden und nach Rettung schreien. In ihm führt er sein Werk zur Vollendung, zu einem guten Ende. Dieses ist die Rettung des Messias aus der Macht Roms in der Auferweckung des Gekreuzigten. Darin gründet die Hoffnung auf die Rettung aller, die „in der Welt“ unter der Gewalt von Herrschenden und Systemen der Herrschaft zu leiden haben.

Jetzt, da Israel am Boden liegt und zerstreut ist, ist die Zeit reif, das Werk zu tun, Israel aufzurichten und zu sammeln, solidarisch zu sein mit Israel. Wie damals nach der Zerstörung Jerusalems durch Babylon muss Israel, Gottes zerstreute Herde, neu gesammelt werden (Jer 31,10f). Das zentrale Werk Gottes ist die Befreiung aus Ägypten. Er hat es weitergeführt in der Befreiung aus Babylon. Nun führt der Messias es weiter in der Sammlung Israels nach seiner Zerstreuung durch den Krieg der Römer. An seinem Kreuz kommt es durch Gottes rettende Solidarität mit dem Messias zur Vollendung. Im Vorgriff der Hoffnung auf die darin gründende Rettung aller ist die Zeit jetzt reif zur Ernte:

Sagt ihr nicht: Noch vier Monate dauert es bis zur Ernte? Sieh, ich sage euch: Erhebt eure Augen und seht, dass die Felder schon weiß sind zur Ernte! Schon empfängt der Schnitter seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, sodass sich der Sämann und der Schnitter gemeinsam freuen. Denn hier hat das Sprichwort recht: Einer sät und ein anderer erntet. Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr euch nicht abgemüht habt; andere haben sich abgemüht und euch ist ihre Mühe zugutegekommen. (Verse 35-38)

Die Ernte besteht darin, „Frucht für das ewige Leben“ zu sammeln. Gemeint ist nicht einfach das ‚Jenseits‘, sondern eine neue Zeit, in der Menschen befreit von Herrschaft, von Verhältnissen der Unter- und Überordnung befreit in Solidarität miteinander leben und spüren können, dass dies Bestand hat über den Tod, der von den Römern droht und über jeden Tod.

Das Sprichwort von Saat und Ernte, das Jesus zitiert, steht in Kontrast zu aus der Schrift vertrauten Worten, in denen es oft heißt, wer sät, soll auch ernten. Wer nicht sät und doch erntet, sind Fremdherrscher oder Reiche und Mächtige in Israel, die andere für sich schuften lassen, aber die Ernte einkassieren. Bleiben Saat und Ernte in einer Hand, ist das Ausdruck befreiten Lebens. Jesus greift dieses Bild auf und führt es in einen anderen Zusammenhang. Die Jüngerinnen und Jünger leben von dem Wort, von der Tora und den Propheten, also von dem, was andere ausgestreut und gesät haben.

Als messianische Gemeinde leben sie zugleich von der Treue Gottes zu seinem Messias, der ihn aus der Gewalt Roms gerettet hat und darin von der Hoffnung, dass diese Rettung auch ihr und ganz Israel und darin allen Menschen gilt, die als „die versprengten Kinder Gottes“ (11,52) gesammelt werden sollen. Dafür hat Jesus sein Leben eingesetzt, dafür „sollte“ er „sterben“ (11,51).

Das was durch das vollendete Werk des Messias, in dem Israels Gott als Retter am Werk ist, gesät worden ist, soll geerntet werden. Deshalb können „sich der Sämann und der Schnitter gemeinsam freuen“ (V. 36). Geerntet werden kann das ‚ewige Leben‘, das jetzt schon in gelebter Solidarität zum Durchbruch kommt, die Hoffnung, dass Gott der gegen Rom das ‚letzte Wort‘ behalten hat wie es in der Auferweckung des Messias zum Ausdruck kommt, auch gegenüber seinen „versprengten Kindern“ erweisen wird, dass er das ‚letzte Wort‘ behält.

Aus jener Stadt kamen viele Samariter zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. (Vers 39)

Mit dem Wort der Frau hat die Sammlung der „versprengten Kinder Gottes in Samaria begonnen. Sie hat Zeugnis gegeben vom Messias, der ihr Elend gesehen hat, wie Gott das Elend der in Ägypten versklavten gesehen hat.

Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage. (Vers 40)

Der Messias soll nun bei den Samaritanern bleiben. Johannes spricht oft vom ‚Bleiben‘, wenn es ihm darum geht, angesichts der Bedrohungen durch Rom nicht der messianischen Gemeinde den Rücken zu kehren, sondern solidarisch zu sein und zu ‚bleiben‘, in Jesu Wort (10,31) und in seiner Liebe, d.h. in seiner Solidarität (15,9), die in der Liebe zueinander und der Solidarität untereinander gelebt wird (15,12). Darin beinhalten das Bleiben zugleich festbleiben, durchhalten, der Macht des Imperiums solidarisch standhalten. Nur so kann ‚ewiges Leben‘ einen ‚Standort‘ haben ‚in der Welt‘ unter der Herrschaft des Imperiums.

„Und er blieb dort zwei Tage“ erzählt Johannes. „Zwei Tage“ sind jene Tage, die auf einen größeren dritten Tag ausgerichtet sind: im engeren Zusammenhang auf die Auferweckung des Jungen eines königlichen Beamten in Kafarnaum (4,46-54) als Jesu „zweites Zeichen“ (4,54). Das erste Zeichen – die Verwandlung von Wasser in Wein auf der messianischen Hochzeit (2,1-12) – fand am „dritten Tag“ (2,1) nach der Berufung der ersten Jünger (1,35ff) statt. Nachdem Jesus sich zwei Tage im Transjordanland aufgehalten hatte, kommt es zur Auferweckung des Lazarus (11). Und schließlich: Drei Tage nach Jesu Tod wird Jesus auferweckt und erscheint seinen Jüngern (20).

Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte. Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Rede glauben wir, denn wir haben selbst gehört und wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt. (Verse 41 und 42)

Die Frau hat Menschen aus Samaria zu Jesus geführt. Es kommen „noch vielmehr Leute zum Glauben nun aber „aufgrund seiner eigenen Worte“. Sie haben nun selbst gehört und wissen: „Er ist wirklich der Retter der Welt.“

Dieses Bekenntnis zu dem von Rom gekreuzigten Messias beinhaltet den Bruch der Loyalität mit dem römischen Imperium, in dem der Kaiser als „Retter der Welt“, d.h. des römischen Reiches gepriesen wird. Dem setzt das Bekenntnis der „Leute“ entgegen: Retter kann nur Israels Gott als Befreier von Herrschaft sein – einer Befreiung wie sie im Messias Jesus am Werk ist und in denen, die seinen Weg gehen.

Alexander Just