„Geht nicht weg von Jerusalem…“ (Apg 1,4-5)

Apg 1,4-5

4 Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt! 5 Denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden.

Mit dem Messias „einen Sack Salz essen“?

Unsere Perikope beginnt mit einer schwierigen Formulierung: „Beim gemeinsamen Mal…“ (V. 4). Schwierig ist das griechische Wort: synalizein. Darin steckt der Begriff für Salz (halys) und die Vorselbe ‚syn‘, die ‚mit‘ meint.‘ ‚Salz‘ ist ein Bild für intensive Verbundenheit. Wir kennen es, wenn wir davon sprechen, mit jemandem einen ‚Sack Salz zu essen‘. Wenn wir das getan haben, sind wir mit ihm vertraut.

Ein biblischer Bezug könnte Lev 2,13f sein. Hier wird angeordnet, dass „Speiseopfer“ gesalzen werden sollen und mit dem Hinweis begründet: Du sollst „das Salz des Bundes deines Gottes nicht fehlen lassen“ (2,13). Das Salz erinnert also an den Bund, d.h. an die enge Ver-‘Bund‘-enheit zwischen Israel und seinem „Gott der Treue“. Im Evangelium nach Markus steht das Bild vom Salz im Zusammenhang mit der der Mahnung zum Frieden unter den Jüngerinnen und Jüngern: „Habt Salz in euch und haltet Frieden untereinander“. Salz ist ein Bild für die „Würze“ (Mk 9,49), die die messianische Gemeinde zusammen hält.

In unserer Stelle aus der Apostelgeschichte dürfte das Salz Ausdruck der Verbundenheit mit dem Messias sein. Sie ist die Wurzel für die Verbundenheit der messianischen Gemeinde untereinander, die deshalb mehr und etwas ‚gefährlicheres‘ ist als ‚Piep, Piep, Piep, wir haben uns alle lieb‘. Sie ist mit dem Messias mit seinem ‚gefährlichen‘ Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung ‚eins‘ und damit „ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,23). Diese Ver-BUND-enheit ist lebendig in ihrer messianischen Praxis, im Weg des Messias, den sie geht. Oder um das uns vertraute Bild aufzugreifen: ‚Sie isst mit dem Messias einen Sack Salz‘. Das gibt ihr die ‚Würze‘.

Zwei Weisungen

Um die ‚gesalzene‘ Gemeinschaft mit dem Messias leben zu können, legt der Messias den Jüngerinnen und Jüngern zwei Weisungen ans Herz:

Geht nicht weg von Jerusalem…“ (1,4)

Auch hier könnte eine wörtlichere Übersetzung hilfreich sein: ‚Lasst euch nicht von Jerusalem trennen…‘ Auf der unmittelbaren Erzählebene heißt das: Bleibt bis Pfingsten in Jerusalem. Darüber hinaus schwingt aber auch das grundsätzliche Anliegen des Lukas mit: Lasst euch nicht von all dem trennen, wofür Jerusalem steht. Lasst euch nicht von Israels Gott und seinen Verheißungen trennen – erst recht nicht in einer Zeit, da Jerusalem in Trümmern liegt und Gottes Verheißungen widerlegt scheinen. Da heißt die Weisung auch: Lasst euch nicht von den Trümmern Jerusalems und darüber hinaus nicht von den Trümmerhaufen der Geschichte trennen.

Da mag es auch in den messianischen Gemeinden Versuchungen gegeben haben, den eigenen Weg zu den Völkern getrennt von den Trümmern Jerusalems, ohne Israel, ohne die Verwurzelung in Israels Gott und seinen Verheißungen zu gehen. Dieser Versuchung ist die Kirche zum Teil erlegen, als sie ihr Bündnis mit der griechischen Philosophie eingegangen ist. Heute liegt die Versuchung von Theologie und Verkündigung in ihrem krampfhaften Bemühen‚ auf die Höhe der Zeit zu kommen, mit ihr ‚gleichzeitig‘ zu werden. Dann reicht es, in freiheitstheoretischen theologischen Varianten von der Erfüllung der Freiheitsgeschichte in Liebe und Vergebung zu reden. Da reicht es, angesichts von Corona, in existentialistischer Manier sich auf sich selbst zurückgeworfen zu sehen und die ‚liebevollen‘ Beziehungen, ‚die‘ Liebe im Kleinen wie überhaupt das ‚Kleine‘, das ‚Ohnmächtige‘ oderdie ‚Leere‘ zu preisen und mit ‚Gott‘ zu überhöhen oder zu füllen.

Auf der Strecke bleibt das, was Jerusalem, die jüdische Tradition, wie sie unsin der Bibel überliefert ist, geprägt hat: die reale Geschichte, die sich nicht in die ‚Geschichtlichkeit‘ der Existenz auflösen lässt, weil in solchem Existenzialismus mit der realen Geschichte auch die geschichtlichen Leiden auf der Strecke bleiben: Es geht nämlich nicht um ‚das‘ Kleine, sondern um ‚die‘ Kleinen, nicht um ‚das‘ Ohnmächtige, sondern um ‚die‘ Ohnmächtigen, die angesichts der Corana-Krise noch einmal mehr zu ‚Kleinen‘ und ‚Ohnmächtigen‘ gemacht werden. Wir haben es mit realen Opfern, mit realen Körpern in einer realen Geschichte zu tun, mit der realen Geschichte des Kapitalismus, dessen Freiheit über ‚Leichen geht‘ –in der Coronakrise um so mehr. Und die ‚Leere‘ von der – auf der Höhe postmoderner Zeiten – immer wieder als Symbolisierung der Ohnmacht oder des Verzichts auf Macht zu lesen ist, ist die ‚tödliche‘ Leere des Verwertungsprozesses, dem wir ohnmächtig ausgeliefert sind, wenn wir nicht begreifen, was in unserer Geschichte passiert. Daraus ist kein ‚positiver Gedanke‘ zu gewinnen. Solch tödlicher Leere gilt es vielmehr die zweite Weisung des Auferstandenen entgegen zu stellen:

Wartet auf die Verheißung des Vaters“ (1,4)

Sich nicht von Jerusalem trennen, heißt, sich nicht von den Verheißungen zu trennen, die mit Israels Gott verbunden sind. Bei Jesaja wird der HERR als „unser Vater“ angerufen – und zwar von denen, die von sich sagen: „Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, wir sind das Werk deiner Hände“ (Jes 64,7). Sie wissen, dass sie schuldig geworden sind, weil sie in der Geschichte ihres Volkes mit dem Königtum in die Irre, fehl gegangen sind. Deshalb bitten sie darum, dass Gott sie nicht auf die Geschichte der Schuld festlegen möge: „Denk nicht für immer an die Schuld! Schau doch her: Wir sind dein Volk“ (Jes 64,7). Weil Israel in seiner Geschichte fehl gegangen ist, wartet es auf den „Geist aus der Höhe“ (Jes 32,15). Er wird die Irrwege vergeben und seine Verheißungen neu in Kraft setzen. Dann kann es wieder neu Wege der Befreiung gehen. „Dann wird die Wüste zum Garten und der Garten wird zum Wald. In der Wüste wird wohnen das Recht und in dem Garten wird die Gerechtigkeit weilen. Das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein und der Ertrag der Gerechtigkeit sind Ruhe und Sicherheit für immer“ (Jes 32,16f).

Für Lukas ist die „Verheißung des Vaters“ mit der Taufe „mit dem Heiligen Geist“ (Apg 1,5) verbunden. Die Taufe des Johannes war eine Taufe zur Umkehr, zur Reinigung von Irrwegen. Die „Taufe mit dem Heiligen Geist“ will sie nicht übertrumpfen. Sie knüpft an sie an. Auch die „Taufe mit dem Heiligen Geist“ ist eine Taufe der Umkehr und Vergebung der Sünden. Was Umkehr und Neubeginn ermöglicht, sind das Leben des Messias und der Geist der darin lebendig ist, die Verheißung, die Israels Gott in seinem Tod und in seiner Auferstehung hat Wirklichkeit werden lassen und als Verheißung für Israel und die Volker neu in Kraft gesetzt hat. Wenn die Jüngerinnen und Jünger nach 50 Tagen des Nachdenkens über die Schrift und das Gebet an Pfingsten mit dem ‚Heiligen Geist‘ getauft sein werden, dann können sie – neu gesammelt um den Messias –aufbrechen, um Israel aufzurichten und auch die Völker an Israels Verheißung der Rettung und Befreiung teilhaben zu lassen.

Sich dabei ‚nicht von Jerusalem trennen‘ zu lassen heißt auch, dem Inhalt der Verheißungen als Verheißungen von Gerechtigkeit und Frieden in ihrer Bindung an die Geschichte treu zu bleiben, und sie weder in privatisierenden Existentialismen noch in abstraktem Freiheitspathos verschwinden zu lassen. Jerusalem treu zu bleiben, heißt der Geschichte treu zu bleiben. Die in ihr gegebenen Verheißungen sind gerade keine Beschwichtigungen und Überhöhungen, sondern ‚gefährliche Verheißungen‘, die dadurch ‚auf die Höhe der Zeit‘ kommen, dass sie der Zeit und dem Gang der sich zur Freiheitsgeschichte verklärenden Katastrophengeschichte widersprechen und widerstehen. Solcher Widerspruch ist auch nicht biblizistisch, sondern verbunden mit politisch-philosophischer Reflexion, jedoch nicht mit den dominierenden affirmativen Varianten, sondern mit den Traditionen ‚kritischer Theorie‘.