Auslegung zum Palmsonntag

6. Sonntag der österlichen Bußzeit (Palmsonntag, 5.4.20)

Mt 21,1-11

1 Als sie sich Jerusalem näherten und nach Betfage am Ölberg kamen, schickte Jesus zwei Jünger aus 2 und sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und bringt sie zu mir! 3 Und wenn euch jemand zur Rede stellt, dann sagt: Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen. 4 Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist: 5 Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist sanftmütig und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers. 6 Die Jünger gingen und taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte. 7 Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie und er setzte sich darauf. 8 Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf dem Weg aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe! 10 Als er in Jerusalem einzog, erbebte die ganze Stadt und man fragte: Wer ist dieser? 11 Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa.

„Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn“. Mit diesem Jubelruf wird Jesus begrüßt. Aber was ist das für ein König, der zwar nach Art des römischen Militärs seine Jünger einen Esel beschlagnahmen lässt und auf ihm Richtung Jerusalem reitet?

Für die junge Christengemeinde bestand Klärungsbedarf. Für sie ist das Desaster des jüdisch-römischen Krieges mit der Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung der Juden in alle Welt in schrecklicher Erinnerung. Die Träume von einem neuen Großreich Israels waren in einem Blutbad geendet. Waren damit alle messianischen Hoffnungen gescheitert oder müssen sie angesichts der Katastrophe noch einmal neu überdacht werden? Kann von einem messianischen König gesprochen werden, ohne Missverständnisse und damit ohne Katastrophen zu produzieren?

Von Traditionen des 1. Testaments her ist Skepsis gegenüber Königen angebracht. Israels Eliten hatten von Samuel verlangt, einen König zu salben. Hinter dem Wunsch nach einem König verbirgt sich der Wunsch, endlich so zu sein wie die mächtigen Völker. Dann aber, so Samuel, wird auch Israel wie Ägypten jene Macht, die Israels Vorfahren versklavt hatte. Realistisch beschreibt Samuel all die Unterdrückungsmechanismen, die mit einem König verbunden sind: Abgaben, die viele im Volk zu Schuldsklaven und Verarmten machen, Militarisierungen und Beschlagnahmungen. „Eure Knechte und Mägde, eure jungen Leute und eure Esel wird er holen und für sich arbeiten lassen“. Solche Königtümer verraten den Gott Israels, der sein Volk aus der Versklavung einer Großmacht befreit hat, der keine Gesellschaft von Herren und Sklaven wollte. Wer solche Könige will, verrät das, was mit dem Namen Gottes versprochen ist: Wege in Befreiung, nicht in neue Sklaverei.

Jesu Jünger beschlagnahmen zwar einen Esel. Aber dadurch wird das Bild eines herrschaftlichen Königs vom Kopf auf die Füße gestellt. Der königliche Messias, der da Richtung Jerusalem reitet, gehört nicht nach „oben“, sondern nach unten. Es ist der Messias der Armen und Erniedrigten, nicht ein Herrscher, der sein Volk arm macht und die Armen erniedrigt. Er verursacht keine Leiden dadurch, dass er andere unterdrückt oder Eroberungskriege führt. Sein Weg führt nach Jerusalem nicht auf einen Königsthron, sondern ans Kreuz. Nicht Herrschaft, sondern Leiden unter der Herrschaft kennzeichnen seinen Weg. Gerade darin ist er den Leidenden nahe. Dies bedeutet keine Verharmlosung des Leidens. Es geht vielmehr um dessen Überwindung. Dies kann nur geschehen durch die Solidarität mit den Erniedrigten und nicht durch Herrschaft. Deshalb ist dieser König nicht nur anders. Eher ist er eine Karikatur der herrschenden Vorstellungen von Königtum und Macht. Seinen Weg nach Jerusalem erzählen die Evangelien nach einer Vision, die sich beim Propheten Sacharja findet. Der kommende König Israels „ist gerecht und hilft, er ist demütig und reitet auf einem Esel“ (Sach 8,9). Er kommt eben nicht hoch zu Ross und mit den Insignien der Macht ausgestattet. Genau deshalb verkündet er den Völkern den Frieden. Mit seinem Kommen sind Rosse, Streitwagen und Kriegsbogen vernichtet. In ihm wird Wirklichkeit, was der Gottesname verspricht: Israels Gott wird geschehen als Retter und Befreier aus Unrecht und Gewalt. Deshalb wird Jesus begrüßt als einer, „der kommt im Namen des Herrn“.

Solche Hoffnung kann nur von Jerusalem ausgehen. Die Trümmerhaufen Jerusalems, die Opfer von Macht und Gewalt schreien nach einem Messias, der die Leidenden aufrichtet und den Opfern des Unrechts Gerechtigkeit widerfahren lässt. Hier, angesichts der Opfer muss sich die messianische Hoffnung bewähren, sonst bleibt sie ebenso illusionär wie banal. Dies kann sie nur, wenn die Hoffnung in einem Messias verkörpert wird, der nicht oben drüber schwebt, sondern „mitten drin“ ist in der Leidensgeschichte der Menschen. Auf dem Weg in die tiefste Erniedrigung des Kreuzes enthüllt sich das paradoxe Königtum dieses Messias. Total am Boden – in der Ohnmacht leuchtet die Hoffnung auf.

Friede kann nur von einem Messias ausgehen, der für eine Welt steht, in der soziale und politische Spaltungen überwunden werden. Hoffnung auf Leben kann es nur geben, wenn sie zuerst denjenigen gilt, die Opfer von Unrecht und Gewalt geworden sind. Nur wenn es nicht nur Hoffnung für die Lebenden, sondern auch Hoffnung für die Toten geben kann, gibt es eine Chance auf Leben in Fülle für alle. Für solche ungeteilte Hoffnung steht dieser König auf dem Esel.

So gilt es für den Theologen Metz: Keinen Sinn der Geschichte, den man auf dem Rücken zu Auschwitz retten kann, keine Wahrheit der Geschichte, die man mit dem Rücken zu Auschwitz verteidigen kann; keinen Gott der Geschichte, den man mit dem Rücken zu Auschwitz finden kann.

Dafür steht der König auf dem Esel.

Heute lässt uns das Corona-Virus die Erfahrung machen, dass alle Länder, die ganze Welt von diesem Virus befallen ist, dass wir also alle in einem Boot sitzen. Weil das so ist, ist nach dem Ganzen zu fragen bzw. das Ganze zu hinterfragen.

Mit dem Blick auf die Kehrseite der Gesellschaftsform ist die Option für die Armen verbunden. Sie beinhaltet die bewusste Entscheidung, Welt und Geschichte aus dem Blickwinkel der Überflüssig-gemachten zu sehen. Die Perspektive wechselt. Im Blick stehen nicht mehr die Sieger und Erfolgreichen, sondern vor allem die Verlierer. Dieser Perspektivwechsel folgt nicht nur einem moralischen Gebot, sondern ist theologisch begründet. Entsprechend sagt Papst Franziskus: Die Option für die Armen ist in erster Linie eine theologische Kategorie. Er begründet das mit der grundlegenden Gotteserfahrung Israels im Zusammenhang mit der Befreiung aus Ägypten und durch das Leben des Menschen aus Nazareth. „Dem Armen und Schwachen zum Recht verhelfen, heißt das nicht, Gott zu erkennen?“ (Jes 22.16) Die Kenntnis Gottes ist nicht möglich ohne die Erkenntnis des Unrechts, an dem sich die Forderung nach Gerechtigkeit entzündet.

Papst Franziskus wertete die heutige Situation als eine Krise, die falsche Gewissheiten und Prioritäten der Weltgesellschaft aufdecke. Dabei verwies er auf Allmachtsdenken, Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit gegenüber Schwachen und ökologischen Ressourcen. „Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden“.

So ist die ganze Gesellschaftsform zu hinterfragen und vor Gott zu tragen. Dafür steht der König auf dem Esel. Er offenbart uns einen Gott, der dem Letzten eine Chance gibt, Leben in Fülle.