„Ermutigung zum Gebet“: Samstag, 4.4.20

Gott um Gott bitten“ (J.B. Metz)?

Hier findet sich eine ‚Litanei vom barmherzigen Gott in der Corona-Krise‘, auf die mich Maria K. aufmerksam gemacht hat. Die Idee ist, in den nächsten Impulsen den Versuch zu unternehmen, einige der Anrufungen Gottes aufzugreifen, um dabei einige Inhalte in Erinnerung zu rufen, die damit verbunden sind. Der erste Versuch:

Du heiliger Gott…“ (Jes 6,1-3)

Der Prophet Jesaja klagt im 8. Jahrhundert die Spaltungen in Arme und Reiche an, die mit der Königsherrschaft verbunden waren. Er tritt den Kriegsplänen des Königs entgegen, der eine Koalition zum Krieg gegen Assyrien schmieden will und warnt davor, Israel nach der Logik der Großmächte zu regieren.

Dazu ist er von dem „heiligen Gott“ Israels gesandt. Genau das wird in der Vision Jes 6,1-3 deutlich. Die Vision schildert die Heiligkeit Gottes als ‚transzendente‘ Überlegenheit über die Welt. Dabei wird – entsprechend dem Bilderverbot – eine Konkretisierung Gottes vermieden. Gott ist nicht darstellbar. Der Zugriff auf sein Geheimnis wird verweigert. Er ‚wohnt‘ im Tempel, bleibt aber doch der ferne Gott, der so hoch über dem Tempel thront, dass nur „die Säume seines Gewandes“ (V. 2) den Tempel ausfüllen können. Das unaussprechliche Geheimnis seines Namens bleibt unangetastet.

Die Rufe „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen“ (V. 3) gelten diesem fernen Gott. Und dennoch kommt dieser ferne und geheimnisvoll „heilige Gott“ den Menschen und der Geschichte nahe, denn „erfüllt ist der ganze Erdkreis von seiner Herrlichkeit“ (V. 3). „Herrlichkeit“ meint, dass Gott kein ‚Leichtgewicht‘ ist, sondern von unfassbarem Gewicht und Ansehen. Mit diesem Gewicht will er den Zerschlagenen und Erniedrigten Gott sein; denn

„So spricht der Hohe und Erhabene, er wohnt in Ewigkeit, sein Name ist der Heilige: Als Heiliger wohne ich in der Höhe, aber ich bin auch bei den Zerschlagenen und dem Geist der Niedrigen, um den Geist der Niedrigen wieder aufleben zu lassen und das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben“ (Jes 57, 15).

Die Rufe „Heilig, heilig heilig…“ haben Eingang in die Feier der Eucharistie gefunden, wenn es im Sanctus heißt: „Heilig, heilig, heilig, Gott Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe.“ Sie verbinden sich mit dem Lobpreis des Messias, wenn das Sanctus fortfährt: „Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.“

Im Messias, der kommt „im Namen des Herrn“, ist all das lebendig und gegenwärtig, was Inhalt des Gottesnamens ist. Und so kann es gar nicht anders sein als dass dieser Messias zu den Erniedrigten und Geschlagenen gesandt ist und sich – wie der Evangelist Johannes es zuspitzt – die ‚Herrlichkeit‘, die Schwergewichtigkeit Gottes im gekreuzigten Messias zeigt. Retten und befreien kann nur ein Gott, der in der Geschichte nahe kommt, aber in dieser Nähe nicht aufgeht, sondern sein Geheimnis wahrt.

Der Jubelruf Hosanna bedeutet: Gott rette und befreie uns. Deshalb wurde Jesus beim Einzug in Jerusalem mit diesem Ruf begrüßt. Wir wissen aber auch, dass damit Rettung und Befreiung für alle noch nicht verwirklicht sind. Deshalb findet der Ruf des Hosanna seine Fortsetzung in dem Ruf „Komm, Herr Jesus, komm!“, damit „Gott alles in allem sei“ (1 Kor 15,28). Dann erst wäre Gott so bei seinem Volk und in seiner Welt angekommen, dass ein ‚neuer Himmel und eine neue Erde‘ Wirklichkeit geworden wären.

Im Ps 96 sich die Verbindung der Heiligkeit und der Herrlichkeit Gottes mit der Erde in einem Lobgesang aus.

Lesung:

Für die Zeit nach dem Exil soll Israel neu zu Gottes Volk gesammelt werden. Dann werden auch die zerstörten und getrennten Reiche, das Nord- und das Südreich wieder zusammen finden. David wird ihr König und ihr einziger Hirte sein. Die Verheißung an David gilt also weiter, aber nicht als Traum von einem imperialen Großreich, sondern in einer Gestalt, in der sich die Überwindung von Herrschaft ankündigt. Der König David wird betont „Knecht“ genannt und damit in die Reihe der „Knechte Gottes“ eingereiht (V. 24-25). Dem entspricht, dass der erneuerte Bund nicht mit David geschlossen wird, sondern „mit ihnen“ (V. 26), also mit denen, die neu in dem Land wohnen werden, das Gott den befreiten Sklaven versprochen hat. Dann wird Gott als der „heilige Gott“ in der Mitte seines Volkes wohnen. Symbolischer Ausdruck dafür ist das Heiligtum des Tempels als ‚Wohnsitz‘ Gottes. Dem entspricht, dass Israel zu einem ‚heiligen Volk‘ wird. Die Heiligkeit des Volkes ist Ausdruck der Zugehörigkeit zum ‚heiligen Gott‘ Israels, der von Götzen der Herrschaft, von Ägypten und allen fetischisierten Systemen der Unterdrückung trennt.

Text: Ez 37, 21-28

21 Dann sag zu ihnen: So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich, ja ich nehme die Söhne Israels aus den Nationen heraus, wohin sie gegangen sind; ich sammle sie von allen Seiten und bringe sie auf ihren Ackerboden. 22 Ich mache sie im Land, auf den Bergen Israels, zu einer einzigen Nation. Und ein einziger König soll König für sie alle sein. Sie werden nicht länger zwei Nationen sein und sich nie mehr in zwei Königreiche teilen. 23 Sie werden sich nicht mehr unrein machen durch ihre Götzen und Gräuel und durch all ihre Untaten. Ich befreie sie von aller Sünde, die sie in ihrer Untreue begangen haben, und ich mache sie rein. Dann werden sie mir Volk sein und ich, ich werde ihnen Gott sein. 24 Mein Knecht David wird König über sie sein und sie werden alle einen einzigen Hirten haben. Sie werden meinen Rechtsentscheiden folgen und auf meine Satzungen achten und nach ihnen handeln. 25 Sie werden in dem Land wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe und in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder werden auf ewig darin wohnen und mein Knecht David wird auf ewig ihr Fürst sein. 26 Ich schließe mit ihnen einen Friedensbund; es soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Ich werde sie aufrichten und zahlreich machen. Ich werde mitten unter ihnen auf ewig mein Heiligtum errichten 27 und über ihnen wird meine Wohnung sein. Ich werde ihnen Gott sein und sie, sie werden mir Volk sein. 28 Und die Nationen werden erkennen, dass ich der HERR es bin, der Israel heiligt, wenn mein Heiligtum auf ewig in ihrer Mitte ist.

Zwischengesang: Jer 31, 10-13

10 Hört, ihr Völker, das Wort des HERRN, verkündet es auf den Inseln in der Ferne und sagt: Der Israel zerstreut hat, wird es sammeln und hüten wie ein Hirt seine Herde! 11 Denn der HERR hat Jakob losgekauft und ihn erlöst aus der Hand des Stärkeren. 12 Sie kommen und jubeln auf Zions Höhe, sie strahlen vor Freude über die Wohltaten des HERRN, über Korn, Wein und Öl, über Lämmer und Rinder. Sie werden wie ein bewässerter Garten sein und nie mehr verschmachten. 13 Dann freut sich die Jungfrau beim Reigentanz, ebenso Junge und Alte zusammen. Ich verwandle ihre Trauer in Jubel, tröste sie und mache sie froh nach ihrem Kummer.

Evangelium: Joh 11,45-57

45 Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn. 46 Aber einige von ihnen gingen zu den Pharisäern und sagten ihnen, was er getan hatte. 47 Da beriefen die Hohepriester und die Pharisäer eine Versammlung des Hohen Rates ein. Sie sagten: Was sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Zeichen. 48 Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen. 49 Einer von ihnen, Kajaphas, der Hohepriester jenes Jahres, sagte zu ihnen: Ihr versteht nichts. 50 Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht. 51 Das sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben werde. 52 Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln. 53 Von diesem Tag an waren sie entschlossen, ihn zu töten. 54 Jesus ging von nun an nicht mehr öffentlich unter den Juden umher, sondern zog sich von dort in die Gegend nahe der Wüste zurück, zu einer Stadt namens Efraim. Dort blieb er mit seinen Jüngern. 55 Das Paschafest der Juden war nahe und viele zogen schon vor dem Paschafest aus dem ganzen Land nach Jerusalem hinauf, um sich zu heiligen. 56 Sie suchten Jesus und sagten zueinander, während sie im Tempel zusammenstanden: Was meint ihr? Er wird wohl kaum zum Fest kommen. 57 Die Hohepriester und die Pharisäer hatten nämlich angeordnet, wenn jemand wisse, wo er sich aufhält, solle er es melden, damit sie ihn festnehmen könnten.

Unser Evangelium knüpft an die Auferweckung des Lazaraus (Joh 11,1-44) an. Sie ist ein Zeichen dafür, dass das unter römischer Herrschaft tote Israel ‚auferstehen‘, neu belebt werden soll. Aufgrund dieses Zeichens kamen „viele der Juden … zum Glauben an ihn“ (V. 45). Einige aber denunzierten Jesus. Aus Furcht vor den Römern schreitet der Hohe Rat ein. Sein ‚realpolitisches Kalkül‘: Wenn wir Jesus in seiner Kompromisslosigkeit gegen Rom gewähren lassen, „werden die Römer kommen und uns die heiligen Stätte und das Volk nehmen“ (V. 48). Um das zu verhindern und die Spielräume zu retten, die von Rom zugelassen werden, muss ein Mensch geopfert werden; er muss – wie Kajaphas sagt – „für das Volk“ sterben (V. 50f). Leider macht die Übersetzung nicht deutlich, dass im griechischen Text nicht der Begriff ‚Laos‘ für Volk Gottes, sondern ‚Ethnos‘ steht, das kein religiöser, sondern ein profan-politischer Begriff ist, der modern dem der Nation entsprechen würde. Jedenfalls wird deutlich, dass es dem Hohepriester nicht um das von Gott befreite Volk geht, sondern um den Erhalt der bestehenden Herrschaft. Johannes biegt die Aussage des Hohepriester dahingehend um, dass Jesus nicht nur „für das Volk sterben“ sollte, „sondern auch, um die versprengten Kinder Israels wieder zu sammeln“ (V. 52). Jesus bleibt auch im Tod der Sendung treu, für die die Auferweckung des Lazarus das Zeichen war. Dem entspricht Jesu Rückzug „in die Gegend nahe der Wüste … , zu einem Ort namens Efraim“ (V. 54) in Betanien. Dieser Ort und diese Gegend stehen für den Ort, von dem aus Israel gesammelt wurde, um auf dem Weg der Befreiung in das verheißene Land einzuziehen. Die Neusammlung des Volkes, die Ezechiel für die Zeit nach dem Exil angekündigt hatte, soll entgegen der Absichten der Hohepriester mit dem Messias Wirklichkeit werden.