Das Kreuz und die Flüchtlinge

In ihren Amtsstuben ließ die bayrische Landesregierung Kreuze aufhängen. Das Kreuz sei eine „identitätsstiftende … Kraft für die Gesellschaft“, hieß es zur Begründung. Der aktuelle Streit um die sog. Asylpolitik macht vollends deutlich, worin die CSU ihre Identität sucht: in der gnadenlosen Abschottung gegenüber Menschen auf der Flucht. Wer das Kreuz zu einem Instrument der Herrschaft gegen andere macht, missbraucht das Kreuz.

Im römischen Reich wurden Menschen gekreuzigt, die im Verdacht standen, gegenüber dem römischen Imperium illoyal zu sein. Zu ihnen gehörte auch Jesus von Nazaret, der sich kompromisslos auf die Seite derer geschlagen hatte, die als Arme und Ausgegrenzte zu Opfern der römischen Macht geworden waren. Sein Kreuz rechtfertigt nicht Herrschaft, sondern stellt sie in Frage. Heute verweist es auf Menschen, die in Flüchtlingslagern dahin vegetieren oder im Mittelmeer ertrinken, und auf die Verhältnisse, die dazu führen.

Was daraus für konkrete Politik folgt, mag im einzelnen umstritten sein. Sicher aber ist: ‚Im Namen des Kreuzes‘ kann keine Politik gerechtfertigt werden, die Europa mit ‚Mauer und Stacheldraht‘ gegen die globale Verelendung zu sichern sucht und dabei Flüchtende in Lager interniert oder in Terrorregionen abschiebt. Das Kreuz erinnert auch heute an die Opfer von Herrschaft und lenkt den Blick darauf, dass die westlichen Gesellschaften die Folgen ihrer Wirtschafts- und Lebensweise auslagern: durch Ausbeutung von Rohstoffen und billigen Arbeitskräften, durch Ausgrenzung derer, die keine Arbeit finden können, durch Umweltzerstörung bis hin zum Export von Giftmüll… Mit den Flüchtlingen schlagen die ausgelagerten Probleme zurück und mit ihnen die Zerstörungspotentiale der zerfallenden kapitalistischen Vergesellschaftung. Statt aggressiver Verleugnung der Probleme und Abwehr der Menschen, die zu ihren Opfern werden, käme es darauf an, endlich die Verhältnisse zu hinterfragen, die immer weiter dazu treiben, die globalen Lebensgrundlagen zu zerstören. Dagegen helfen weder ‚Mauern noch Stacheldraht‘.

Herbert Böttcher

(als „Fixpunkt“ am 18.7.2018 in der Rheinzeitung veröffentlicht)

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