2. Advent im Heinrichhaus/Engers: Lesungen, Predigt und Fürbitten

Hinführung zur Lesung:

Der Prophet Jesaja spricht in eine Situation, in der Israel zerstört und ohne Hoffnung am Boden liegt. Was von Israel übrig geblieben ist, gleicht einem Baumstumpf. Wo aber der Glaube an Israels Gott der Befreiung lebendig ist, keimt die Hoffnung, dass aus dem Baumstumpf ein neuer Trieb wachsen kann. In ihm ist ein anderer Geist lebendig, ein Geist, der öffnet für eine neue Welt in Gerechtigkeit und Frieden.

Text: Jes 11,1-10

1 Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, / ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. 2 Der Geist des HERRN ruht auf ihm: / der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, / der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. 3 Und er hat sein Wohlgefallen an der Furcht des HERRN. / Er richtet nicht nach dem Augenschein / und nach dem Hörensagen entscheidet er nicht, 4 sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit / und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt das Land / mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler / mit dem Hauch seiner Lippen. 5 Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften / und die Treue der Gürtel um seine Lenden. 6 Der Wolf findet Schutz beim Lamm, / der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, / ein kleiner Junge leitet sie. 7 Kuh und Bärin nähren sich zusammen, / ihre Jungen liegen beieinander. / Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. 8 Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter / und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus. 9 Man tut nichts Böses / und begeht kein Verbrechen / auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des HERRN, / so wie die Wasser das Meer bedecken.

Evangelium: Mt 3,1-12

1 In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der Wüste von Judäa: 2 Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. 3 Er war es, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: Stimme eines Rufers in der Wüste: / Bereitet den Weg des Herrn! / Macht gerade seine Straßen! 4 Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. 5 Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend zogen zu ihm hinaus; 6 sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. 7 Als Johannes sah, dass viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kamen, sagte er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? 8 Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, 9 und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. 10 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. 11 Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Sandalen auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. 12 Schon hält er die Schaufel in der Hand; und er wird seine Tenne reinigen und den Weizen in seine Scheune sammeln; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.

Umkehr – aus der Zeit Gefallen? Eine Predigt zu Mt 3,1-12

Johannes, der Täufer, ist ein richtiger Bote des Advent. Er kündigt das Kommen Gottes an und fordert dazu auf umkehren. Ob Menschen auch heute zu Johannes pilgern würden? Seine Botschaft der Umkehr dürfte nur schwer ankommen. Nicht Umkehr, sondern Sicherung der gewohnten Lebensweisen ist gefragt. Viele sind verunsichert: Einige wissen nicht mehr, wie sie Ernährung und Heizung bezahlen sollen. Andere sorgen sich um die Eskalation des Krieges in der Ukraine. Die Klimakatastrophe zerstört nicht nur die Lebensgrundlagen im globalen Süden, sondern erreicht auch die westlichen Gesellschaften.

Viele – so beobachten Psychologen – ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück. Wenigstens da soll die Welt warm und überschaubar bleiben. Hier verstärkt sich eine Haltung der Selbstbezüglichkeit, die seit Jahren erkennbar ist. Dahinter steckt nicht einfach Egoismus, sondern eher Überforderung. Viele spüren den Zwang, sich selbst behaupten zu müssen, während sich soziale Zusammenhänge auflösen. Es fragt sich jedoch, ob es hilfreich ist, den Kopf in sich selbst gleichsam wie in den Sand zu stecken. Währenddessen dürften die Lasten noch größer werden. Die Verzweiflung könnte sich noch tiefer in die Seelen fressen. Sie macht depressiv und ohnmächtig oder auch aggressiv. Dann wendet sie sich gegen Flüchtende und Menschen ohne Arbeit, gegen Juden und Zigeuner, gegen alle, die vermeintlich an all dem Elend schuld sind.

Die Botschaft des Johannes scheint ‚aus der Zeit gefallen‘ Sie sucht nicht Normalität, sondern öffnet den Blick auf das, was daran problematisch ist. Würde wenigstens die Kirche zu Johannes pilgern? Es sieht nicht so aus; denn auch sie blickt auf sich selbst. Sie sorgt sich wegen ihrer wachsenden Bedeutungslosigkeit. Sie will wieder mehr Menschen erreichen. Mit einer Botschaft der Umkehr ist das schwierig. Eine geschwisterliche Kirche samt des Zugangs aller zu allen Ämtern soll für ein besseres Image sorgen. Die angezielten Reformen sind richtig und wichtig und gegen Angriffe aus vatikanischen Krisen zu verteidigen. Zu recht sollen autoritäre Amtsstrukturen, eine giftige Sexualmoral ebenso wie ein Glaube, der autoritär als Gehorsam eingefordert wird, überwunden werden. Bei genauerem Zusehen geht es aber wieder um die Kirche: Sie will Menschen zurück gewinnen, um sich als Institution zu stärken. Sie soll zu einer ‚unternehmerische Kirchen‘ werden, zu einem religiösen und pastoralen Dienstleistungsunternehmen, das attraktiv ist für die Nachfrage von Kunden und Kundinnen nach religiösen und begleitenden Angeboten.

Es ist eine Illusion zu glauben, das hätte keine Konsequenzen für die Verkündigung der biblischen Botschaft. Die Versuchung ist, das anzubieten, was auf Märkten für Spirituelles und Esoterisches nachgefragt wird: Religiös Erbauliches und Entlastendes, ‚ein bisschen Wärme‘ für die Seele inmitten der gesellschaftlichen Kälte, Selbsterfahrung und Unterhaltendes, aber bitte keine Inhalte und kein anstrengendes Nachdenken – erst recht nicht über Umkehr. Was angeboten wird, mag zwar auf den ersten Blick manche entlasten. Es wird aber schnell von der erdrückenden und belastenden Wirklichkeit eingeholt und verlangt wieder neu nach Entlastendem. In diesem Kreislauf des Gleichen ist keine heilende und befreiende Perspektive zu gewinnen.

Einen anderen Weg weist Johannes mit seinem Ruf zur Umkehr, zur Ausrichtung des Lebens auf das Kommens Gottes. Er redet nicht über die realen Probleme hinweg, sondern im Blick auf die Krisen seiner Zeit. Die ist geprägt durch die Zerstörungen und Spuren des Bluts, die der Krieg der Römer gegen die Juden hinterlassen hat, durch die wieder neu gefestigte römische Herrschaft und ihr brutales Vorgehen gegen alle, die sich nicht mit ihr abfinden wollen. In diese Situation hinein sagt Johannes: Die Geschichte der Befreiung Israels ist nicht zu Ende. Gott kommt neu auf uns zu – wie er es damals in Ägypten und Babylon getan hat. Der Jordan, in dem Johannes tauft, erinnert daran, wie Israel über den Jordan in das verheißene Land gezogen ist. Wie damals Josua so ruft jetzt Johannes dazu auf, dem Gott der Befreiung die Treue zu halten und seine Wege zu gehen.

Solche Umkehr stellt einen Bruch mit einem Leben dar, das sich im Einklang mit den herrschenden Verhältnissen bewegt. Das wird schon an der Kleidung und der Ernährung des Täufers deutlich. Sein Gewand aus Kamelhaaren steht im Kontrast zu der „feinen Kleidung“ wie sie „in den Palästen der Könige“ (Mt 11,8) getragen wird. Der „wilde Honig“, von dem er sich ernährt, stammt aus kleinbäuerlicher Bienenzucht, nicht von dem Honig, der auf Landflächen angebaut wurde, die den kleinen Bauern genommen wurden, um darauf Nahrungsmittel für den Export nach Rom anzubauen.

Die Leute … zogen zu ihm hinaus“, betont unser Text. Offensichtlich knüpft Johannes an Sehnsüchte nach einem anderen Leben an. Er bedient sie aber nicht wie einer, der Kunden ein passendes Produkt anpreist. Die Befreiung, die er predigt, erfordert Umwege, eben Umkehr, Abkehr von der Normalität der herrschenden Verhältnisse. Menschen, die dazu bereit sind, bekennen ihre Sünden. Dabei geht es nicht einfach um individuelle Verfehlungen, sondern um die eigene Verstrickung in Verhältnisse, die Leben zerstören. Wer das erkennt und bekennt, streckt sich nach Befreiung aus. Die herrschenden Verhältnissen sollen nicht mehr Herr über ihn sein. Er will sich reinigen, um den Blick frei zu bekommen für Gottes Wege.

Zornig wird Johannes, „als viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kamen“. Sie gehören zu den Gruppen, die im Einklang mit den römischen Verhältnissen leben wollen und Menschen, die dabei stören, an die römischen Behörden ausliefern. Wer im Einklang mir den Verhältnissen leben will, kann keine Früchte der Umkehr hervorbringen. An die Wurzel solch fruchtloser Bäume ist schon die Axt gelegt.

Was nun, wenn die Kirche auf die Botschaft des Johannes hörte? Sie müsste umkehren vom Kreisen um sich selbst. Nicht um Kunden dürfte es gehen, sondern um diejenigen, denen die Botschaft vom Kommen Gottes vor allem gesagt ist. Das sind – so werden wir es am kommenden Sonntag hören – die Blinden und Lahmen, die Aussätzigen und Tauben, die Armen (Mt 11,4). Sie sind die Opfer der herrschenden Verhältnisse. Wer ernsthaft die Opfer in den Blick nimmt, kommt an einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Verhältnissen nicht vorbei, auch nicht mit kirchlichen Verhältnissen, die Menschen zu Opfern sexuellen Missbrauchs werden lassen.

Statt sich als ‚unternehmerische Kirche‘ den heutigen Verhältnissen anzuschmiegen, müsste die Kirche ihr Einverständnis mit ihnen aufgeben. Wie Johannes mit Rom so hätte die Kirche heute – ganz in der Spur von Papst Franziskus – zu brechen mit einer ‚Wirtschaft, die tötet‘, mit einer Gesellschaft, die Menschen dem Zweck der Vermehrung von Kapital um seiner selbst willen opfert. Herauszufinden, wie das konkret aussehen könnte, wäre des Schweißes pastoraler Überlegungen wert. Es würde eine kritische Auseinandersetzung mit dem bedeuten, was in unserer Gesellschaft als normal gilt, mit dem, was unserem Denken auf den ersten Blick einsichtig erscheint, damit wie ‚man‘ so lebt.

Im Horizont solcher Umkehr müssten entsprechende pastorale Akzente gesetzt werden. Es wären Wege der Umkehr von einer angepassten zu einer kritisch-prophetischen und messianischen Kirche einzuschlagen. Zu lernen wäre dabei z.B. von Adolf Kolping, dessen Gedenktag wir mit der Engerser Kolpingsfamilie wir heute feiern. Er hat sich um Menschen, die in ihrem Beruf unterwegs waren, begleitet und ihnen mit Kolpingsfamilie einen Raum geöffnet, in dem sie heimisch werden konnten. Eine Herausforderung heute sind Arbeitsmigranten, die in anderen Ländern Arbeit suchen. Sie müssen für geringen Lohn und unter elenden Bedingungen arbeiten – nicht nur in Katar, sondern auch in Ländern wie Deutschland. Zu lernen wäre von der Kirche Boliviens, deren pastoraler Weg im Amazonasgebiet im Mittelpunkt der diesjährigen Adveniataktion steht. Sie widersetzt sich – wie Bischof Coter auf seiner Deutschlandreise berichtet – der Zerstörung des Regenwaldes und setzt sich für die indigene Bevölkerung ein. In den Armenviertel der Vorstädte kümmert sie sich um diejenigen, die aus ihren Wohngebieten geflohen sind, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden.

Für solche Wege ist die Verwurzelung in den Inhalten der biblischen Botschaft von Gottes Wegen der Befreiung entscheidend. Sie weiten den Blick und gibt Kraft zu einem unangepassten und widerständigen Leben an der Seite der Opfer. Dazu – nicht zur Aufbesserung des Images – ist eine ‚geschwisterliche Kirche‘ wichtig, nicht als Selbstzweck, sondern im Dienst des kommenden Gottes. In diesem Dienst werden geschwisterliches Miteinander bis hinein in die Feier des Glaubens zu einem Vorgeschmack der erhofften Befreiung zu einem erfüllten und miteinander geteilten Leben für alle Menschengeschwister.

Fürbitten

Jesus, Sohn Davids und Sohn Abrahams. Gott hat dich uns als seinen Messias und Menschensohn geschenkt. Auf dich richten sich unsere Hoffnungen auf Befreiung und Rettung. Wir bitten dich:

Für alle, die unter dem Krieg in der Ukraine zu leiden haben, für Familien und Kinder, Alte und Kranke, die von Strom und Wasser abgeschnitten sind, für alle, die hungern müssen:

um Unterbrechung der Spirale der Gewalt, um Einsicht bei den politisch Handelnden, um Umkehr und Hoffnung auf eine neue Erde

Gl 234

Für Juden, die antisemitischen Diffamierungen und Anschlägen ausgesetzt sind, für oft verachtete Sinti und Roma, für Menschen ohne Arbeit, auf deren Rücken parteitaktisches Machtgerangel ausgetragen wird:

um Unterbrechung der Kreisläufe von Diffamierung und Verdächtigung, um Nachdenklichkeit, um Umkehr und Hoffnung auf eine neue Erde

Gl 234

Für Kinder, die unter wachsender Armut und psychischer Gewalt zu leiden haben, für Jugendliche, die voller Sorgen um ihre Zukunft auf den Krieg in Europa, auf Klimawandel, Wirtschaftskrisen und ihnen drohende Altersarmut blicken:

um Unterbrechung des Denkens in den Bahnen des Gewohnten, um den Mut zur Kritik an der gewohnten Normalität, um Perspektiven für die Zukunft, um Umkehr und Hoffnung auf eine neue Erde

Gl 234

Für die Kirche in Bolivien, die an der Seite der Armen gegen die Zerstörung der Natur und den Erhalt des Regenwaldes kämpft, für all diejenigen, die sich in den Armenvierteln der Vorstände um die kümmern, die vor der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen geflohen sind, für Bischof Eugenio Coter, der zur Zeit Deutschland besucht:

um Kraft aus dem Glauben an Gott, der befreit und aufrichtet, um Hoffnung auf den Menschensohn und eine neue Erde, um Umkehr in den Ländern, von deren Lebensgewohnheiten die Grundlagen des Lebens weltweit zerstört werden

Gl 234

Für die Kirche in Deutschland, die auf ihrem synodalen Weg um Reformen ringt: um den Mut, Diffamierungen aus vatikanischen Kreisen stand zu halten, um Weitung des Blicks über den kirchlichen Binnenraum hinaus, um eine Kirche an der Seite der Opfer, um Umkehr derjenigen, die mit ihrem theologischen Fundamentalismus und ihrer Nähe zu rechtsextremen Bewegungen die Einheit der Kirche aufs Spiel setzen

Gl 234

Für die Kolpingsfamilie in Engers, die heute Adolf Kolpings gedenkt:

um einen wachen Blick auf die Zeichen der Zeit, um Offenheit für die biblische Botschaft, um die Kraft, heute nach Gottes Wegen der Befreiung zu suchen

Gl 234

Auslegung und Fürbitten von Herbert Böttcher