In Zeiten unternehmerischer Kirche(n): Der Glaube stört

Koblenz, 12.09.2022. Der Glaube stört. So ließe sich das Fazit des Vortrags von Herbert Böttcher am 3.9. bei der casa comun – einer kritischen Begleitkonferenz zur gerade zu Ende gegangenen Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) – in Karlsruhe formulieren. Hintergrund der Aussage ist der Prozess des Bekennens, der vom Weltrat der Kirchen und vom Reformierten Weltbund in den 1990er Jahren auf den Weg gebracht worden war. Das Glaubensbekenntnis der Kirchen sollte angesichts der Zerstörungsdynamik des Kapitalismus und seiner Ideologie des ‚Totalen Marktes‘ buchstabiert werden. Davon war bei der Versammlung des Weltrates der Kirchen in diesem Jahr fast nichts zu hören.

In seinem Vortrag stellt Böttcher – Vorsitzender des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar und des Vereins für kritische Gesellschaftswissenschaften „Exit!“ – die weitgehende Ignoranz der Kirchen gegenüber der immer dringlicher werdenden Kritik des Kapitalismus in den Zusammenhang kirchlicher Reformbemühungen, die darauf zielen, sich als ‚unternehmerische Kirchen‘ verlorenes Terrain zurück zu gewinnen. Genau dabei stören die Inhalte des Glaubens, die untrennbar mit dem Schrei nach Rettung, Kritik von Herrschaft und der Suche nach Wegen der Befreiung verbunden sind. Stattdessen geht es den Kirchen vor allem darum, ReligionskundInnen in ihrem Bedarf an Spiritualität, Sinnstiftung, entlastender Esoterik, Ablenkung durch Event und Spektakel zu erreichen.

Anknüpfend an Walter Benjamins Rede vom „Kapitalismus als Religion“ macht Böttcher den Fetischcharakter des Kapitalismus deutlich. Er unterwerfe den Globus dem irrationalen Zweck der Vermehrung von Geld/Kapital um seiner selbst willen einhergehend mit der Abspaltung der weiblich konnotierten und minderbewerteten Reproduktion. Dies sei immer mit der Vernichtung von Menschen und der Zerstörung der Schöpfung verbunden. Angesichts der aktuell sich zuspitzenden Krisen (Hunger, Flucht, Kriege, Zerstörung der Schöpfung) wird unverkennbar, dass die Grundlagen allen Lebens zerstört werden. Es sind Krisen, deren Ursachen und Verlauf davon geprägt sind, dass der Kapitalismus auf seine inneren und äußeren Schranken stößt: Mit dem Zwang Arbeit durch Technologie zu ersetzen, untergräbt er seine Fähigkeit, Kapital zu akkumulieren; mit dem Zwang, auch in der Krise noch zu wachsen, zerstört er die natürlichen Grundlagen des Lebens.

Die Herausforderung für die Kirchen besteht darin, sich diesen Zusammenhängen zu stellen statt als ‚unternehmerische Kirchen‘ kapitalistisch mitzuspielen und an der vor allem krisenbedingt steigenden Nachfrage nach spirituell-therapeutischer Nachfrage noch zu profitieren. In dieser Situation heißt Bekenntnis des Glaubens, zwischen Gott und Götzen zu unterscheiden und diese Unterscheidung kapitalismuskritisch zu buchstabieren. Genau das beinhaltet einen Bruch mit dem „Kapitalismus als Religion“ und zugleich einen Bruch mit der Funktion der Kirchen, allgemein religiöse Funktionen zu übernehmen und ohne gesellschaftskritische Reflexion den Platz einzunehmen, der ihnen gesellschaftlich zugewiesen ist: Sinn zu stiften, ohne den Unsinn der gesellschaftlichen Verhältnisse zu reflektieren, Kontingenz zu bewältigen, ohne auf die Bedingungen zu achten, die das Leben von Menschen und die Grundlagen des Lebens zerstören.

Text von Herbert Böttcher als pdf-Download

Foto: Waltraud Andruet