Eine kleine Verteidigung des Monotheismus gegenüber einer „größeren Weite der Religiösität“

Der Versuch, das jüdisch-christliche Gottesgedächtnis in seiner Inhaltlichkeit und herrschaftskritischen Kraft stark zu machen, wie wir es in unserem neuen Netzpapier getan haben, stößt auf den Einwand, hier werde ein „monotheistisches Glaubensgebäude“ errichtet mit Gott als Herrn und der Legitimation von Herrschaft. Dem wird dann eine „größere Weite der Religiösität“ entgegen gesetzt.

Wir rekurrieren aber nicht auf ein dogmatisches Glaubensgebäude, sondern auf biblische Inhalte, die wir in Erinnerung rufen. Genau das sind Inhalte, die eine Art Fazit der biblischen Herrschaftskritik darstellen, die auf Befreiung zielt. Insofern erinnern wir ‚Tradition‘, ‚Überlieferung‘. Die kommt bei uns aber nicht als fundamentalistische Basis eines Glaubensgebäudes ins Spiel, sondern als eine ‚subversive‘, d.h. Herrschaft untergrabende und delegitimierend Erinnerung, die nicht beliebig ist, sondern einen konsistenten Zusammenhang aufweist.

Diese kritische Sichtweise lässt sich nicht im Rahmen einer allgemeinen, vielleicht „größeren Weite der Religiösität“ zur Geltung bringen, sondern nur, wenn ‚Religion‘ durch Inhalte bestimmt ist. Diese Inhalte zentrieren sich im jüdischen Gottesgedächtnis auf die Empfindsamkeit für fremdes und eigenes Leid sowie auf eine Herrschaftskritik, die als Fetischismuskritik (biblisch: Götzenkritik) gegen die Verabsolutierung von Herrschaft, heute gegen den als alternativlos verabsolutierten Kapitalismus zur Geltung gebracht wird. Dass der Monotheismus auch mit der Legitimation von Herrschaft bis hin zu Gewaltexzessen einhergeht, hängt damit zusammen, dass er der griechisch-römischen Welt angepasst wurde: dem ontologisch-idealistischen Denken aus Griechenland sowie dem römischen Rechtsdenken. Das lief wirkungsgeschichtlich auf die Linie ein Gott, ein König, ein Führer, ein Volk hinaus.

Die mit dem biblischen Monotheismus verbundene Empfindsamkeit für fremdes und eigenes Leid ebenso wie die herrschaftskritische Zuspitzung ist nicht von fundamentalistischer Glaubensgewissheit geprägt, sondern von Erinnerung. Damit bewegt sie sich in der Nähe der kritischen Theorie (vgl. die Bedeutung des Leidens, das zu denken gibt, Negative Dialektik bei Adorno oder Erinnerung bei Marcuse). Vor diesem Hintergrund wird auch die jüdisch-messianische Tradition bis hin zum Messias Jesus interpretiert. Sie steht dafür, dass alle in die Hoffnung auf Befreiung und Rettung einbezogen werden, einer Befreiung und Rettung, die konsequent von unten, von den Leidenden, von den Opfern von Unrecht und Gewalt gedacht werden und sich im Widerstand gegen Unrecht und Gewalt artikulieren muss. Solche Rede von Gott kann keine ‚letzten Gewissheiten‘ beanspruchen. Ihre Wahrheit, hängt daran, dass Gott selbst sie wahrmachen muss, wenn er sein ‚letztes Wort‘ in der Geschichte spricht. Ihr hängen immer auch Ratlosigkeit und Zweifel an, weil sie mit der Erfahrung des Leidens und der Nichtidentität verbunden bleibt. Diese Erfahrungen nimmt der Rede über Gott ihre Selbstgewissheit, lässt sie umschlagen in das Gebet, „in die ratlose Rede zu Gott“1.

Demgegenüber wirkt die oft zitierte „größere Weite der Religiösität“ eher eng, jedenfalls wenn sie privatisierend, esoterisch verstanden wird. Dann geht es um Innerlichkeit, um das Selbst als Archetyp, um individuelle Entlastung angesichts des mit dem Kapitalismus verbundenen Drucks. Um all das, was der Eso-Markt zu bieten hat, an den die Kirchen mit ihren religiösen Produkten Anschluss suchen. „Eine postmoderne Religion der psychologisch-ästhetischen Seelenverzauberung“ gewissermaßen als „Kompensation für verlorene Transzendenz“2 mag beruhigend wirken. Die Rede von Gott hingegen lässt aufschrecken und aufhorchen, öffnet die meditativ ‚nach innen‘ geschlossenen Augen. Das lässt sich schlecht vermarkten, weil sich die religiöse Kundschaft nicht so gern unterbrechen, irritieren oder gar verunsichern lasst.

Zudem hat sich das postmoderne Loblied auf Polytheismus und Pluralität recht blamiert. Zum einen ist die hochgelobte bunte kulturelle Vielfalt in kulturelle Identitäten umgeschlagen, die sich als Legitimation ethnischer Kämpfe entpuppen. Hier rächt sich, dass hinter der bunten Pluralität nicht die kapitalistische Uniformierung wahrgenommen wurde. Mit der Pluralität gehen Polytheismus und Remythisierung einher, die recht deutlich nach rechts ausschlagen. Dagegen steht eine vom jüdischen Monotheismus, den die christliche Tradition messianisch interpretiert, inspirierte Kritik, die gegen polytheistische und mythische Unbestimmtheiten und Fundierung in einem mysteriösen pluralen Ursprünglichen (als kritikloser Überhöhung oder rechter Legitimation kapitalistischer Verhältnisse) die Erinnerung an die Einheit der Menschen in ihrer kulturellen und religiösen Verschiedenheit stellt und diese von den Letzten, von den Opfern, her zu denken versucht. Dies bleibt insofern an Ungewissheit oder theologisch an die Unverfügbarkeit des Gottesgedankens gebunden, als aus ihm keine theologischen Gewissheiten abgeleitet werden können. Sehr wohl aber setzt er eine kritische Erinnerung frei, die als Hoffnung buchstabiert werden kann, die auf die Befreiung und Rettung aller, der Opfer zuerst, zielt. An deren Befreiung hängt die Befreiung aller. Das ist ja der Gedanke, der hinter unserem Verständnis von Auferstehung steht, der aber ohne die mit der Erinnerung verbundenen Inhalte nicht gedacht werden kann. Solange es um ‚Religiöses‘‘ geht, lässt sich solcher Ballast vernachlässigen, geht es um Gott, genauer um Israels Gott, der im Bund steht mit einem versklavten Volk und – in messianischer Lesart – mit dem von Rom gekreuzigten Messias, lassen sich der Ballast des Leidens in der Geschichte und die damit verbundenen Zweifel nicht einfach abschütteln.

Anders sieht die Frage nach Religionen aus, wenn wir sie als klassische Religionen (im Unterschied zu marktkonformer und nicht zufällig rechtslastiger Esoterik) verstehen. Da wäre die Frage, ob trotz Unterschieden im Gottesverständnis bzw. von grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber einem Gottesbegriff sich Gemeinsamkeiten von Religionen finden lassen im Blick auf die Empfindsamkeit menschlichen Leidens, seiner Reflexion im Zusammenhang gesellschaftlicher Verhältnisse, der Kritik von Herrschaft, der Suche nach Überwindung des das ganze Leben und seine Grundlagen bedrohenden Kapitalismus. An dieser Stelle könnte der Dialog von Religionen sehr inspirierend sein. Diese Inspiration erwächst nicht aus religiösen Verallgemeinerungen wie ‚höheres Wesen‘ ‚Energie‘ etc., sondern aus der Inhaltlichkeit, die sich in unterschiedlichen Religionen Ausdruck verschafft.

 

1Johann Baptist Metz, Vorwort zur 5. Auflage von Glaube in Geschichte und Gesellschaft, in ders., Gesammelte Schriften, Freiburg im Breisgau 2016, 11-19, 18.

2Ebd.