„Ermutigung zum Gebet“: „Du geduldiger Gott“

Du geduldiger Gott“ (Röm 15,5)

(aus: Litanei vom barmherzigen Gott in der Coronakrise)

Der Zusammenhang, in dem Paulus in seinem Brief an die Römer (15,1-5) vom „Gott der Geduld und des Trostes“ (V. 5) spricht, ist die Geduld der Starken mit den Schwachen in der messianischen Gemeinde. Offensichtlich sieht Paulus die Gefahr der Starken in ihrer Selbstgefälligkeit. Ihnen gegenüber betont er: „Christus hat nicht sich selbst zu Gefallen gelebt; vielmehr steht geschrieben: Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.“ (V. 3) Paulus zitiert Psalm 69,10. Dieser Psalm ist das Klagegebet eines Menschen, dem „das Wasser … bis an die Kehle“ (V. 2) geht, der „im Schlamm des Abgrunds“ versunken ist und „keinen Halt mehr“ (V. 3) hat. Bei all dem erfährt er noch den Spott derer, die ihn angesichts seines Leides verhöhnen. Paulus interpretiert solche Erfahrungen als Gemeinschaft mit den Schmähungen, die der Messias zu erleiden hatte. Diese Sicht stützt er auf die Schrift, die „zu unserer Belehrung geschrieben“ ist – und zwar „damit wir Geduld und durch den Trost der Schriften Hoffnung haben“ (Röm 15,5).

Manches, was von kirchlichen Botschaften zu Ostern zu hören war, war nicht geprägt von Solidarität mit den Schwachen, die in ihrer Verzweiflung – wie der Beter, den Paulus zitiert – nach Gott schreien oder gar im Leid verstummen. Eher zeigten sich gegen Irritationen durch die Schwachen immune Selbstgefälligkeiten und Selbstgewissheiten:

  • Da wurde die Natur bemüht, die aus dem Ei neues Leben hervorbringt. Aber dieses neue Leben ist dem Tod ausgesetzt. Dem Tod, den Menschen veranstalten, und in jedem Fall dem Tod, den die Natur einfordert.

  • Vor geschlossenen Kirchentüren konnten Bäume mit Osterhasen und anderen zeitgenössischen Symbolen des Lebens geschmückt werden.

  • Dem Auferstandenen kann kein Corona mehr etwas anhaben. Mit der Digitalisierung durchdringt er sogar die geschlossenen Kirchen. Corona wird zur ‚pastoralen Chance‘ in der Kirchenkrise… Manche Katholiken „preisen den Sinn der vom Priester zelebrierten Privatmesse ohne Volk, fast so als hätte der göttliche Heilsplan das Coronavirus für ein Revival des Klerikalismus klassischen Typs bestimmt: Nie war‘n wir so wertvoll wie heute!“1

  • Den Vogel der Selbstgefälligkeit schoss wohl die „Rheinische Landeskirche“ ab. Ganz auf der Höhe von Digitalisierung und Marktförmigkeit dröhnte aus der ‚unternehmerischen Landeskirche‘ der Werbeslogan: „Kirche geschlossen – kein Problem! Dann kommt der Gottesdienst zu Ihnen nach Hause.“

Auch in einer Situation, in der die Coronakrise mit der Krise des Kapitalismus zusammenfällt – wie vor allem in den Flüchtlingslagern und in den Regionen zu sehen ist, in denen die Strukturen von Markt und Staat einbrechen – geht es vielen hierzulande wieder einmal um die Kirche und deren selbstgefällige Inszenierung. Nur eine rudimentäre Rolle spielt das, was Paulus meint, wenn er vom „Gott der Geduld und des Trostes“ (Röm 15,5) spricht. Gottes Trost zeigt sich im „Trost der Schriften“ (V. 4). Das ist gerade keine selbstgefälliger Trost, sondern einer, der durch die Schmähungen, die Menschen erleiden, hindurch gegangen ist. Sie werden in dem geschmähten Christus sichtbar – auch nach seiner Auferstehung. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, dass die ‚Schmähungen‘ nicht ‚das letzte Wort‘ sind. Selbstgefällige Banalitäten und Gewissheiten finden sich in den biblischen Texten gerade nicht. Auch Maria Magdalena bleibt eine Klagende (Joh 20,1-18). Die Auferstehung des Gekreuzigten hat die Welt nicht verwandelt. Rom herrscht weiter. Und auch Corona bereitet seine zerstörerische Macht weiter aus – und wird es auch dann noch tun, wenn nach Corona die Rechnungen präsentiert werden und die Bezahlung der Schulden eingefordert wird. Mit Ostern verbunden ist aber die Sendung nach Galiläa, an die Brennpunkte, an denen Ostern nichts geändert hat. Sie ist getragen von einem widerständigen ‚doch‘: „Ich habe doch gehört, dass Gott ein Gott des Lebens ist, dass Jesus auferstanden ist.“2

Die Hoffnung, die dieses nicht selbstgefällige mit den Schwachen verbundene ‚Doch‘ trägt, ist der „Trost der Schriften“ (Röm 15,4), von dem Paulus spricht. Aus ihnen spricht „der Gott der Geduld und des Trostes“ (Röm 15,5). Geduld und Trost zielen darauf ab, „eines Sinnes untereinander zu sein, Christus Jesus gemäß“ (ebd.). „Eines Sinnes zu sein“, ist zwar ein Vergehen gegen den postmodernen Pluralitätszwang, keineswegs aber platter Uniformismus, schon gar keine Unterwerfung unter die Uniformität der kapitalistischen Verwertungsgesetze. Es geht darum, „Christus Jesus gemäß“ (ebd.) zu werden so wie Paulus es im Brief an die Philipper beschrieben hatte: „Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave … bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht …“ (Phil 2, 6-11). „Eines Sinnes untereinander zu sein“ (Röm 15,5) heißt nach Paulus „so gesinnt“ zu sein, „wie es dem Leben Jesu entspricht“ (Phil 2,6), das der von Paulus zitierte Hymnus besingt. Jesu widerständiges Leben ist verwurzelt im „Gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8), es ist verwurzelt im Hören auf Israels Gott (Dtn 6,4) wie es sich in der Schrift Ausdruck verschafft.

Solcher Trost ist weder einfach noch uniform. Er ist nicht einfach, weil es nicht möglich ist, unmittelbar auf ihn zuzugreifen. Es bedarf der ‚Vermittlung‘ mit der Schrift und der Gegenwart. Das ist nicht durch eine von oben angeordnete Uniformität zu erreichen, sondern führt über den Weg der Auseinandersetzung. Die Kirchen drohen ‚selbstgefällig‘ an der Realität, unter der Menschen leiden, ebenso wie an der Schrift vorbeizureden. Gemessen an beidem wirken deshalb viele kirchliche Trostangebote so trostlos.

Eine Anmerkung zum Schluss:

Weil ich es nicht schaffe, den täglichen Impuls über die bisherige Zeit hinaus aufrecht zu erhalten, werden sie in der nächsten Zeit etwas unregelmäßiger kommen. Ich habe mir vorgenommen, die Anrufungen aus der Litanei vom barmherzigen Gott weiter zu kommentieren und die Apostelgeschichte, die ja in der Osterzeit besonders zur Geltung kommt, in ihrem fortlaufenden Textzusammenhang etwas zu kommentieren.

1Joachim Frank, Eine beispiellose Zäsur, Leitartikel im Kölner Stadt-Anzeiger vom 11./12.4.

2Paul Freialdenhofen in seiner Auslegung von Joh 20,1-18 zu Ostern 2020.